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Brisantes Behördengutachten: Viele Risiken bei neuer Gentechnik
Neue Gentechnik nicht mit konventioneller Züchtung gleichzusetzen
Im Auftrag der französischen Regierung hatten Experten von Anses Auswirkungen und potenzielle Risiken neuer Gentechnik für Mensch, Tier, Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft untersucht und bewertet. Die Behörde macht im ersten Teil des Gutachtens deutlich, dass Pflanzen, die mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren entstanden sind (NGT), keinesfalls konventionellen Züchtungen gleichgestellt werden können.
Das wäre aber nach dem aktuellen Entwurf der EU-Kommission bei über 90 Prozent der künftigen NGT-Pflanzen der Fall, die in die weitehend deregulierte Kategorie NGT1 fallen würden. Diese „gleichwertigen“ NGT-Pflanzen sollen ohne Risikoprüfung für den Markt zugelassen werden. Bereits im November 2023 hatte der erste Bericht für Aufsehen gesorgt, in dem Anses die sogenannten Gleichwertigkeitskriterien als nicht wissenschaftlich fundiert kritisierte.
Im Gegensatz zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die sich in ihrer Bewertung von NGT nur theoretisch mit der Art und Anzahl von Mutationen befasst hat, lag der Fokus bei Anses ganz praktisch auf den Auswirkungen von NGT-Pflanzen, deren Erbgut durch den Einsatz der CRISPR/Cas Methode verändert worden war. Die Fachleute von Anses beobachteten weitreichende durch solche NGT-Verfahren ausgelöste Effekte, die sie in ihrer Risikobewertung berücksichtigten.
Risiken auf vielen Ebenen vorhanden
In dem lange unter Verschluss gehaltenen und erst im März 2024 veröffentlichten, umfangreichen zweiten Teil des Anses-Gutachtens, widersprechen die Fachleute der Behörde erneut den Auffassungen der EFSA und der EU-Kommission. Mit der Analyse von konkreten Fällen von NGT1-Pflanzen zeigt das Anses-Gutachten, dass Eingriffe ins Erbgut mit den neuen gentechnischen Verfahren auf vielen Ebenen Risiken bergen. So können neben den beabsichtigten auch unbeabsichtigte Veränderungen in den Eigenschaften der Pflanzen und ihrer Zusammensetzung auftreten. Das kann Auswirkungen auf die daraus hergestellten Lebensmittel haben, wie eine veränderte Allergenität oder Toxizität.
Risikoprüfungen und Monitoring unabdingbar
Um die Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier zu erkennen und auszuschließen, empfiehlt Anses, eine individuelle Risikobewertung jeder neuen NGT-Pflanze und ein risikospezifisches begleitendes Monitoring während der Zulassungsphase. Die bisherigen bei gentechnisch veränderten Pflanzen üblichen hohen Anforderungen an Risikoprüfungen sollten auf jeden Fall auch für NGT-Pflanzen beibehalten werden, fordert Anses. In Bezug auf Risiken für die Umwelt müsse ebenfalls die bisherige, in der EU-Gentechnikverordnung geregelte Praxis der Risikobewertung von GV-Pflanzen auch für NGT gelten.
Das Anses-Gutachten geht auch auf sozioökonomische Auswirkungen neuer Gentechnik ein. Viele Fragen seien ungelöst: von der Koexistenz in der Landwirtschaft über die Verbraucherer:innenerwartung an Transparenz bis zu fehlenden Nachweismethoden und Patenten. Wegen der Vielzahl der Risiken und Bedenken empfiehlt Anses eine umfassende Auseinandersetzung damit und eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte.
Weitere Stellungnahme der EFSA beauftragt
In Reaktion auf den ersten Teil des Anses-Gutachtens, der die Gleichwertigkeitskriterien in Frage stellt, hat EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die EFSA beauftragt, bis Juli 2024 eine Stellungnahme zu den Kriterien für die Kategorisierung NGT-Pflanzen zu erarbeiten.
Obwohl das Anses-Gutachten bereits im Januar vorlag und die Abgeordneten vor der Abstimmung zu NGT im Europaparlament am 7. Februar 2024 fundiert informieren sollte, war die Veröffentlichung des brisanten Dokuments zunächst von der französischen Regierung blockiert worden.
Infodienst Gentechnik: Neue Gentechnik: Französische Behörde warnt vor Risiken
Infodienst Gentechnik: Behörde: Gentechnik-Entwurf der EU-Kommission unwissenschaftlich
Von Testbiotech veröffentlichte inoffizielle Übersetzung des Anses Gutachtens (Januar 2024)