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Europawahl 2024: Wer will Gentechnik-Regeln bewahren, wer schleifen?

- Das Ergebnis der Europawahl am 9. Juni 2024 wird auch Einfluss auf die künftigen Gentechnik-Regeln der EU haben. In Bayern ist das sogar Wahlkampfthema. Wie stehen die einzelnen Parteien dazu?

Foto: Mareike Sonnenschein (NABU)

Die Europawahl 2024 fällt mitten in den laufenden Gesetzgebungsprozess für möglicherweise neue Regeln für Gentechnik in Land- und Lebensmittelwirtschaft in der EU. Das „alte“ Parlament hat sich bereits weitgehend für den Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission ausgesprochen.

Doch auch die Mitgliedsstaaten müssen sich einigen. Ein weiterer Versuch dazu der amtierenden belgischen EU-Ratspräsidentschaft ist jetzt kurz vor der Wahl gescheitert. Eine Lösung ist nicht in Sicht, das Thema wird also auch das neue Europaparlament weiter beschäftigen. Fast alle Parteien haben in ihren Europawahlprogrammen und bei Befragungen in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Klarheit dazu Stellung bezogen.

CDU/CSU: Gentechnik im Programm weitgehend ausgespart

Im gemeinsamen Programm von CDU/CSU wird das Thema Gentechnik weitgehend ausgespart, der Begriff kommt überhaupt nicht vor. Nur eine kurze Erwähnung unter der verklausulierten Umschreibung „neue Züchtungstechnologien“ gibt es: „Wir wollen einen starken Impuls für Präzisionslandwirtschaft, neue Züchtungstechnologien, integriertes Schädlingsmanagement und den Einsatz von Robotik in der Landwirtschaft.“

Diese Zurückhaltung der Union, die in Umfragen zur Europawahl deutlich auf Platz eins liegt, könnte auch damit zusammenhängen, dass in Bayern die dortige ÖDP das Thema im Wahlkampf nutzt. Sie thematisiert die zwiespältige Haltung der CSU, die sich einerseits für ein gentechnikfreies Bayern stark macht, andererseits aber im Europaparlament die Deregulierung unterstützt.

In einem Wahlprüfstein des Anbauverbandes Biokreis hat sich die Union etwas deutlicher und mit leichter Einschränkung für eine Deregulierung geäußert: „Die neuen Züchtungstechnologien verlangen nach einem neuen Rechtsrahmen. Sorten, die in gleicher Form auch durch konventionelle Züchtung entstehen könnten, sollen nicht länger unter die Regeln des Gentechnikrechts fallen. Transparenz und Rückverfolgbarkeit sollen aber gewährleistet sein“.

Grüne: Gentechnikfreie Produktion und Wahlfreiheit schützen

Die Grünen bekennen sich in ihrem Europaprogramm zum „Leitbild der ökologischen Landwirtschaft“, zu deren Prinzipien die Gentechnikfreiheit gehöre: „Wie bei jeder Technologie muss der politische Kompass zum Umgang mit alten wie neuen gentechnischen Verfahren einerseits die Freiheit der Forschung gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt ausschließen. Auch neue gentechnische Verfahren in der Landwirtschaft sollen hinsichtlich ihrer Chancen, Risiken und Folgen erforscht werden. Für eine nachhaltige und transparente Landwirtschaft ist es unabdingbar, dass Betriebe, die gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies sicher tun können.“

Es gelte, an einem „strengen Zulassungsverfahren“ und am Vorsorgeprinzip festzuhalten. „Dazu bleiben Risikoprüfungen auf umfassender wissenschaftlicher Basis und eine Regulierung nötig, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließen und über eine verbindliche Kennzeichnung die gentechnikfreie Produktion und die Wahlfreiheit der Verbraucher:innen schützen. Patente auf Pflanzen und Tiere lehnen wir ab. Damit sichern wir die Zukunft besonders kleiner und mittelständischer Landwirtschafts- und Zuchtbetriebe.“

SPD: Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Wahlfreiheit und Kennzeichnung

Die SPD lehnt laut Programm „Gentechnik im herkömmlichen Sinne“ ab. Den Einsatz „neuer genomischer Techniken (CRISPR/Cas, Gen-Schere)“ werde man ergebnisoffen prüfen: „Dabei haben das Vorsorgeprinzip und damit einhergehend eine umfassende Risikoprüfung im Einzelfall vor jeder potentiellen Zulassung für uns oberste Priorität. Denn auch bei neuen Gentechniken kann es zu unerwünschten Effekten kommen. Verbraucherinnen und Verbraucher, die keine genveränderten Pflanzen auf ihren Tellern haben wollen, brauchen Wahlfreiheit. Im Falle einer Zulassung der neuen Gentechnik sind die Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung von mit genveränderten Pflanzen hergestellten Produkten daher unverzichtbar.“

BSW: „Ablehnung von Agrogentechnik“

Das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) liegt in aktuellen Umfragen vor FDP und der Linken. Die neue Partei hat ein sehr knappes 20-seitiges Europawahlprogramm. Dennoch kommt das Thema Gentechnik vor. Ebenfalls äußerst knapp und ohne Bezug zur aktuellen Debatte um neue Gentechnik heißt es darin: „Ablehnung von Agrogentechnik, keine Patente auf Leben, freier Nachbau von Saatgut“

FDP: Klares Bekenntnis zur Gentechnik-Deregulierung

Die FDP spricht sich in ihrem Programm dagegen klar für eine Deregulierung alter und neuer Gentechnik aus: „Innovationen in der Landwirtschaft wie Gentechnik wollen wir durch zügige und wissenschaftlich fundierte Zulassungsverfahren ermöglichen“, heißt es. „Wir setzen uns für eine vollständige Neuordnung des europäischen Gentechnikrechts ein. Nicht nur die Bewertung der klassischen Grünen Gentechnik muss an den heutigen Wissensstand angepasst werden, sondern auch sogenannte Neue Züchtungstechniken, wie die Genomeditierung durch Crisp/Cas9, müssen fortschrittsorientiert und rechtlich klar geregelt werden.“ Auch In-vitro-Fleisch und durch Mikroorganismen produzierte Milch will die FDP in der EU zulassen. „Bio- und Gentechnologie“ sollen ein Schwerpunkt der EU-Forschungsförderung sein.

Die Linke: Vorrang für Vorsorgeprinzip vor Innovationsprinzip

 „80 Prozent der Bevölkerung lehnen Gentechnik auf dem Teller ab“, stellt Die Linke in ihrem Europaprogramm fest. „Anbau von transgenen Pflanzen in der Landwirtschaft, einschließlich sogenannter neuer genomischer Techniken, und Patente auf Saatgut, Pflanzen, Tiere und anderes Leben lehnen wir ab. Sie gefährden die Biodiversität und erhöhen die Abhängigkeit der Produzenten von übermächtigen Weltmarktakteuren“. Die Partei spricht sich gegen die Deregulierung neuer Gentechnik aus: „Die von der EU per Verordnung geplante Aussetzung der generellen Kennzeichnung für den Großteil der gentechnisch veränderten Organismen (GVO) muss verhindert werden. Verbraucher:innen haben ansonsten keine Wahl mehr. Das Vorsorgeprinzip muss wieder Vorrang vor dem Innovationsprinzip erhalten.“

Die Wähler:innen können also die Positionen der Parteien in Sachen Gentechnik am 9. Juni 2024 in ihre Wahlentscheidung einbeziehen. Es bleibt spannend, wie sich das künftige Europaparlament zu diesem Thema verhalten wird. Eins scheint sicher: Diese Debatte ist noch längst nicht beendet.

CDU/CSU: Mit Sicherheit Europa. Wahlprogramm von CDU und CSU zur Europawahl 2024

Grüne: Was uns schützt – Europawahlprogramm 2024

SPD: Gemeinsam für ein starkes Europa

BSW: Programm für die Europawahl 2024

FDP: Europa. Einfach. Machen. Das Programm der FDP zur Europawahl 2024

Die Linke: Zeit für Gerechtigkeit. Zeit für Haltung. Zeit für Frieden. Programm zur Europawahl 2024

Europawahl: Was sagen Parteien zur Agrogentechnik? (Infodienst Gentechnik)

Neue Gentechnik: Belgier scheitern mit Kompromissvorschlag (Infodienst Gentechnik)

Die Öko-Partei wirft der CSU Betrug am Wahlvolk vor (Fränkischer Tag)

Wahlprüfstein zur Europawahl: Deregulierung der Neuen Gentechnik (Biokreis)

Europawahl 2024: So stehen die Parteien zu Bio, GAP & NGT (Bioland)

Ranking: Parteien für Regulierung neuer Gentechnik (BUND)