News
Ungarn öffnet die Debatte zur Gentechnikderegulierung
Bisher unzureichend berücksichtigte Bedenken sollen geklärt werden
Die gentechnikkritischen Ungarn, die seit 1. Juli bis Ende des Jahres 2024 die Ratspräsidentschaft innehaben, eröffnen die Deregulierungsdebatte neu. Das Non-Paper, das zur Vorbereitung für das erste Treffen an die Teilnehmenden der Arbeitsgruppe "Genetische Ressourcen und Innovation in der Landwirtschaft" verschickt wurde, listet zehn strittige Themen auf. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe erläutert im Anschreiben, dass mehrere „Elemente des Entwurfs“ noch weiter erörtert werden müssten, da bisher nicht genügend Zeit für eine angemessene Diskussion und das Finden von Lösungen zur Verfügung gestanden habe. Unter der Ratspräsidentschaft von Spanien und Belgien war es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, das Gentechnikrecht neu zu regeln. Viele Bedenken von Mitgliedsstaaten blieben in diesem von den Ratspräsidentschaften gepushten Schnellverfahren unberücksichtigt. Das soll sich jetzt unter ungarischem Vorsitz ändern.
VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting begrüßt den Vorstoß der Ungarn: „Der ungarische Diskussionsbeitrag kann ein Game-Changer in der Debatte um die drohende Gentechnikderegulierung im Ministerrat sein. Endlich kommen all die relevanten Bedenken auf den Tisch, die bisher ganz bewusst unter dem Deckel gehalten wurden, um die Deregulierung der neuen Gentechnik so schnell wie möglich durchzuwinken. Diese Strategie wird nun zum Glück durchkreuzt.“
Risikobewertung, Kennzeichnung und Nachweisverfahren stehen zur Debatte
Die Fülle an ungeklärten Fragen auf der Agenda der Arbeitsgruppe stellen das Gesetzesvorhaben in seiner jetzigen Form in Frage. Zu den zentralen ungelösten Fragen, gehören die Kriterien zur Definition von NGT-Pflanzen der Kategorie 1, die im aktuellen Dossier als gleichwertig zu Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung gelten. Sie sollen laut aktuellem Dossier keiner Risikobewertung unterliegen und nur auf Saatgutebene gekennzeichnet werden.
Die Ungarn weisen darauf hin, dass die Kriterien zur Abgrenzung zwischen genmanipulierten Pflanzen der Kategorie 1 und 2 rein technisch/molekularer Natur sind und keine fallspezifischen Sicherheitsabwägungen umfassen sowie die Berücksichtigung möglicher Umwelteffekte außen vor bleibt. Außerdem betonen sie, dass die durchgängige Kennzeichnung von NGT1 für die Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit und der Wahlfreiheit der Verbraucher:innen elementar sei. Weiter schlagen die Ungarn auch vor, die Ergebnisse der EU-Programme Darwin und Detective abzuwarten, die bis 2027 Verfahren zum Nachweis und zur Rückverfolgbarkeit für NGT-Pflanzen entwickeln wollen.
Ausdrücklich erwähnt werden im Non-Paper auch die drohenden Auswirkungen des Deregulierungsvorschlages für die Bio- und "Ohne Gentechnik"-Wirtschaft sowie mögliche Akzeptanzprobleme im globalen Handel, die Hemmnisse und Einschränkungen nach sich ziehen können. Schließlich werden von den Ungarn Lösungen für die fehlende Rechtssicherheit und die Einhaltung des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit angemahnt.
Einigung eher unwahrscheinlich
Zur Bearbeitung und Klärung dieser grundlegenden Fragen sind nach aktuellem Informationsstand nur vier Treffen der Arbeitsgruppe geplant. Zum Ende des Jahres soll ein Fortschrittsbericht vorliegen. Unter Fachleuten gilt als unwahrscheinlich, dass die umfangreiche Agenda dann abgearbeitet ist und eine Einigung erzielt wird. Der Abschluss des Verfahrens habe für die ungarische Ratspräsidentschaft keine hohe Priorität.
Nach Einschätzung von Insidern besteht sogar die Möglichkeit, dass der Deregulierungsplan der EU-Kommission erst wieder von der dänischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2025 weiterverfolgt wird, da auch Polen, das ab Januar 2025 die Ratspräsidentschaft übernimmt als gentechnikkritisch gilt.
Infodienst Gentechnik: Gentechnikregelung: Ungarn will neu debattieren
Tagesspiegel Background: Ungarn will NGT-Regulierung wohl erneut aufschnüren
Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft
Gentechnik-Pläne der EU-Kommission vertagt
Darwin und Detective – Neue Forschung zu Nachweisverfahren